Die Anti Menschenrechtsinitiative

Die Selbstbestimmungsinitiative hat in letzter Konsequenz die Kündigung der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zum Ziel. Stein des Anstosses ist nicht Vertragswerk an sich, sondern die daraus resultierende Rechtssprechung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Gültigkeit von Staatsverträgen stellen die Verfasser nicht direkt in Frage. Der Volkswille habe jedoch nach Ansichten der SVP bei Widerspruch Vorrang. Ausserdem sei es nicht die EMRK an sich, die der Bundesverfassung widersprechen würde, sondern die durch das EGMR gefällten Urteile.

Diese Sichtweise ist jedoch falsch. Es sind einzelne Initiativen, die sowohl der EMRK als auch unserer Bundesverfassung widersprechen. In der bundesrichterlichen Praxis geniessen menschenrechtliche Staatsverträge einen Anwendungsvorrang gegenüber der Verfassung und der Gesetzgebung. Da sich diese Initiativen aussliesslich der SVP zuordnen lassen, ist  der Zweck der Inititiative offensichtlich. Der Schutz der Verfassung vor menschenrechtswidrigen Initiativen soll vermindert und die Gewaltenteilung auf Kosten der Gerichte geschwächt werden.

Seit dem 19. Jahrhundert geniesst das Völkerrecht gegenüber Bundesgesetzen jenen Anwendungsvorrang, selbst nachträgliche Änderungen der Verfassung und Gesetze können diesen nicht aushebeln. Die Annahme der Initiative ändert nichts an dieser Praxis. Sie fordert, dass die Behörden sich nur noch an jene Verträge zu halten haben, die unter dem Referendum stehen. Dies gilt nicht alleine für zukünftige Verträge, sondern auch für jeden bereits geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag. Die EMRK wurde durch das Parlament angenommen und unterstand nach damaligem Recht weder dem obligatorischen noch dem fakultativen Referendum.

Trotz Annahme der Initiative würde sich am Geltungsanspruch der EMRK jedoch nichts ändern. Denn völkerrechtliche Verträge sind unabhängig davon, wie sie von einzelnen Vertragspartner ratifiziert werden, gemäss Art. 26 des „Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge“ rechtlich bindend. Dieses Übereinkommen unterstand dem fakultativen Referendum. Womit der Grundsatz, dass Verträge zu erfüllen seien,  gemäss Art. 190 der Bundesverfassung verbindlich ist. Dieser Teil der Initiative ist folglich sinnfrei, da uns die Bundesverfassung unabhängig von der Art der Ratifizierung zur Einhaltung von menschenrechtlichen Verträgen verpflichtet.

Das Anliegen der SVP ist aus anderen Gründen gefährlich. Entsteht ein Widerspruch zwischen der Verfassung und einer völkerrechtlichen Verpflichtung muss der entsprechende völkerrechtliche Vertrag laut Initiativtext gekündet werden. Was unweigerlich der Fall wäre, wenn das Bundesgericht einen Widerspruch zwischen einem Bundesgesetz und einem völkerrechtlichen Vertrag feststellen würde. Zwar garantiert die Bundesverfassung die gleichen Menschenrechte wie die EMRK, da Bundesgesetze mangels Verfassungsgericht jedoch verbindlich sind und die Verfassung bei der Formulierung von Gesetzen grossen Spielraum offen lässt, gäbe es kein juristisches Mittel mehr, um verfassungswidrige Gesetze zu verhindern.

Folglich versucht die SVP mit ihrer Initiative die Vorrangigkeit menschenrechtlicher Staatsverträge zu unterlaufen, was ihr mit dieser Initiative bedingt auch gelingen könnte. Zwar garantiert der UNO Pakt II in etwa die gleichen Rechten wie die EMRK. Die Frage ist jedoch, ob dieser Pakt zusammen mit dem Grundsatz, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind, ausreichenden Schutz vor politischen und medialen Druck gewähren können. Am Ende entscheidet alleine die Gesinnung und der Mut eines einzelnen Richters oder einer einzelnen Richterin darüber, ob die eigenen Menschenrechte gewahrt bleiben oder nicht. Weshalb die Initiative nichts mit Selbstbestimmung zu tun hat. Vielmehr ebnet sie den Weg für eine willkürliche, dem Diktat der Mehrheit unterliegenden Rechtssprechung. Womit sie im Grunde nichts anderes ist als eine Anti Menschenrechtsinitiative.

Dieser Text fasst die Beurteilung von alt Bundesrichter Niccolò Raselli zusammen und ist als PDF verfügbar.

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